Wunderkammer

Die Camera Obscura –
eine Wunderkammer der Wahrnehmung

‚Wir sind beieinander geborgen, die Landschaft und ich.‘ (Walter Benjamin)

Im Rahmen unserer Projektarbeit zur begehbaren Camera Obscura begreifen wir diese nicht nur als technischen Apparat, oder als eine dem menschlichen Auge nachgebildete Sehmaschine, welche nach physikalischen Gesetzen funktioniert, sondern vor allem als eine außergewöhnliche und gleichsam faszinierende Möglichkeit mit unserer Umgebung in Beziehung zu treten, diese wahrzunehmen.
Mit dem buchstäblichen Eintreten hinter das menschliche Auge wirkt die Camera Obscura wie eine Wunderkammer, in der sich die Distanz zwischen wahrnehmenden Subjekt und objektiv begriffener Umgebung aufhebt. Mit der Projektion, dem Hereinholen der äußeren Umgebung in einen Innenraum löst sich unsere gewohnte, insbesondere architektonisch-räumlich geprägte Differenzierung in ein Innen und ein Außen auf. Im Innenraum ist der Außenraum copräsent. Es handelt sich immer um denselben Raum in dem wir uns befinden, der aber in unterschiedlichen Intensitäten zu Tage tritt. Im Inneren der Camera Obscura zu sein bedeutet Teil einer projizierten Außenwelt zu werden und sich dennoch im Inneren zu befinden. Man schaut also nicht als distanzierter Betrachter oder Beobachter in die objektiv vorhandene materielle Welt, so wie dies bei einem Aussichtsturm der Fall ist, sondern man befindet sich innerhalb seiner selbst und schaut in gewisser Weise in sich selbst. (vgl. Philosophie der Wahrnehmung, Modelle und Reflexionen, Hrsg.Lambert Wiesing, Verlag Suhrkamp Frankfurt a. M. 2002, S. 22 ff)

Mit dieser Trennung zwischen Subjekt und Objekt kommt der Erfahrung in einer Camera Obscura nicht nur sinnlicher sondern durchaus auch mystischer Charkter zu, welcher durch die stillen, geräuschlosen aber dennoch bewegten Bilder unterstützt wird. Insbesondere wirkt sich diese Form der Wahrnehmung auf unser Verständnis von Identität aus. Identität wird nicht mehr erzeugt in dem man sich von der Umgebung abgrenzt, sich unterscheidet, und sich so als eigenständiges Individuum begreift, sondern in dem man eins wird mit seiner Umgebung, mit der Welt. Identität also verstanden als eine Form der Zugehörigkeit entsprechend der lateinischen Bedeutung einer Wesenseinheit und nicht als Absonderung.

In der Camera Obscura wird uns zudem die Bedeutung des architektonischen Elements des Fensters vor Augen geführt. Das Loch als das kleinstmögliche Fenster ermöglicht uns in größtmöglichen Kontakt mit der Außenwelt zu gelangen, ja sogar Teil von ihr zu werden. Die Außenwelt fließt durch ein Loch in das Innere, breitet sich in diesem aus und erfüllt es. Der Innenraum wird zum auf den Kopf gestellten Außenraum.

Nicht Aussicht ist das was man gewinnt, sondern Einsicht.

Gerade für eine Welt, die immer schneller und lauter wird, die durchzogen ist von Lichtern und Geräuschen, die sich überschlagen, und in denen wir uns kaum noch Orientierung verschaffen können, stellt eine Camera Obscura einen außerordentlichen Ruhepunkt dar. Als eine Wunderkammer der Wahrnehmung, die es mit der unmittelbaren Gegenwart aufnimmt, verführt sie uns in eine geheimnisvolle Welt, die, wie es scheint, abseits des alltäglichen Raum- und Zeitempfindens liegt.

…ins Innere der Umgebung eintauchen und geborgen sein von einer fernen Nähe… Teil der Landschaft werden und mit ihr im Rhythmus des Tages und der Jahreszeiten schwingen…